- von Schwudi -
Mit zitternder Hand wühle ich in meiner Tasche, suche die halbleere Ampulle.
„Vierzehn volle Monde und drei Tage. Suspendierung vom Dienst wegen zu vieler Verweise.“
Ich zieh den Kork, verschließe die Öffnung gleich wieder mit dem Daumen.
„Vierzehn Monde Zeit, meine Gedanken vom Kreisen wieder auf die richtige Bahn zu bringen.“
Ich halte die Flasche gekehrt über meiner ausgestreckten Zunge.
„Mehr als ein Jahr und ich spüre immer noch die Leere und Einsamkeit wie am ersten Tag.“
Ein leicht säuerlicher, nach Alkohol schmeckender Tropfen schlägt auf meiner Zunge auf.
„Meine selbstgewählte Heimat will mich nicht mehr. All die Dienste fürs Struv, all die abgeschnittenen Körperteile, doch nun bin ich unerwünscht.“
Weitere Tropfen trommeln auf die nasse Oberfläche. Der Speichel fließt in Strömen, er zwingt mich zu schlucken. Mir wird schwindelig, ich muss mich ins Gras legen. Das Zittern in den Händen hat nun aufgehört. Mit jedem Atemzug wird mein Körper schwerer, versinkt immer mehr in der Wiese. Die Schmerzen in der Schulter verwandeln sich in eine angenehme Wärme, welche mehr und mehr in den ganzen Körper ausstrahlt.
Der Wind streichelt meine Haut, ich hab das Gefühl, er trägt ein Wimmern in mein Ohr. Ich versuche zu lauschen, es klappt aber nicht, liege wohl zu tief in meinem Bett.
Doch da wieder, ein Flehen, und es kommt wahrscheinlich näher. So nah, dass ich nun den Ursprung erblicke. Eine engelsgleiche Gestalt, die sich über mich beugt, mir ins Ohr flüstert. Ich verstehe sie nicht, sie spricht hilflos und wirr in einer fremden Sprache. Wieder flüstert sie was, legt langsam ihre Hände auf meinen Hals und drückt leicht zu. Ich habe keine Ahnung, was sie zu sagen versucht. Sie drückt immer fester. Ich kann nicht atmen. Wieder flüstert sie, drückt nochmals fester. Jetzt glaube ich ein „Bitte hilf mir“ zu erahnen. Ihre Hände lassen locker, streicheln mir nun die Haare. Bevor die Gestalt wieder verschwindet, küsst sie mich auf die Wange. Es ist ein sehr nasser Kuss, ich werde wacher, komme langsam zu mir. Als ich die Augen öffne, erblicke ich einen hungernden Fuchs, welcher mir das halb eingetrocknete Erbrochene vom Gesicht leckt. Er erschrickt, rennt weg. Ich bleibe wie gelähmt, aber hellwach liegen. War das eben Erlebte alles nur ein Traum, Nebenwirkungen einer leichten Überdosis?
Während ich mich aufrappele, fällt mir ein Ring aus der Handfläche. Beim genaueren Untersuchen entdecke ich eine Inschrift: „Für Zainab“.
Ich erinnere mich, Zainab, die Freundin von Fachidh, Prinzessin der Wüste, Kellerkind im hohen Turm.
Leicht erschöpft, aber voller Tatendrang komme ich endlich am Weißen Turm an. Der Schweiß fließt mir einem Gebirgsbach gleich übers Gesicht. Ich öffne die Tür und betrete den dunklen, kühlen Eingangsraum und setze mich erstmals auf den mit Sand verschmutzten Steinboden. Eine scharfe Schneide im Nacken, lässt die Haare meiner Haut vogelhautgleich aufstellen.
„Wer bist Du? Was suchst Du hier? Identifiziere Dich!“, spricht ein Typ hinter mir. Da bemerkt ich erst, dass im Halbdunklen sich noch weitere Personen befinden. Ein Elf in feinen Kleidern und Spitzhut, ein am Boden meditierender behaarter Kleinwüchsiger und natürlich der hinter mir, mit seinem Schwert in meinem Nacken.
„Mein Name ist Schwudi, ich bin Kämpfer des Struv, im Range eines Takal’Mor und was ich hier mache, weiß ich selbst nicht richtig.“
„Ah Du bist endlich hier, wir haben auf Dich gewartet“, entgegnet der Typ in meinem Rücken. Er steckt sein Schwert wieder in den Köcher und tritt hervor.
„Und wer seid ihr?“, frag ich in den Raum.
„Wir sind Freunde Zainabs, sie hat uns um Hilfe gerufen. Ich bin Vector. Der kleine Haarige, der da am Boden vor sich hinträumt ist Eljo und neben Dir steht mein Bruder Sky.“, entgegnet der Zauberer und fährt fort: „Wir haben Zainab krank und schwach hier unten aufgefunden und zu einem Heiler gebracht. Ihr tapferes Volk von Wüstennomaden ist von einem grässlichen Fluch belegt worden. Das Einzige was sie uns mitteilen konnte, war, dass er vermutlich hier unten ausgesprochen wurde, tief in versteckten Räumen der Katakomben. Nur Krieger, welche bis in den letzten Raum vordringen, werden ihn brechen können.“
„Genug gesprochen, wir sollten endlich los“, unterbricht ihn Sky.
Mit gezückten Waffen erkunden wir den nach Moder und Verwesung riechenden Keller. Im Schein der großen Lichtkugeln schleichen wir – nach Fallen Ausschau haltend – vorwärts. Eine mit Goldornamenten verzierte Wand begrenzt schlussendlich unser Weiterkommen. Vor ihr auf einem kleinen Podest liegt ein großer, kunstvoll verzierter Sarkophag. Ich will ihn sogleich öffnen, da hält mich Sky zurück.
„Spinnst Du? Pass auf bei solchen Sachen. Da könnten Fallen drin sein oder noch schlimmer: irgendwelche nicht ganz Dahingerafften, Auferstandene, Zombies oder sonstiges Gesocks. Ich zeig Dir jetzt mal die ‚Sarg-Taktik‘, die hat mir schon viel Mühe und Tode erspart. Schau zu und lerne!“ Er kramt in seinem Rucksack eine Phiole hervor, schüttet das heilige Wasser über die Klinge seines Lichtschwertes, öffnet den Sarkophag einen Spalt weit und fängt wie wild an darin herumzustochern. Da muss etwas drin sein, denn seine Klinge stößt auf Widerstand. Nach zwei Minuten Rühren öffnet er vorsichtig den Deckel. Zum Vorschein kommt eine Mischung aus abgetrennten, angefaulten Gliedmaßen, Leichentuchfetzen und Bruchstücken von Grabbeigaben.
„Habt Ihr die dumpfen Schläge gehört, als er das Schwert komplett hineinsteckte? Ich vermute, da ist ein Hohlraum oder ein zweiter Boden“, frag ich in Gruppe.
Nach kurzer Zeit Suchen werden wir fündig und halten ein Stück Pergament in den Händen, das aussieht wie eine Bauanleitung für ein komplexes Gangsystem. Wurde hier womöglich der Erbauer dieses Turms mitsamt seinen Plänen und Hinweisen zu den versteckten Fallen begraben? Wir werden es bald herausfinden. Dem Plan folgend gehen wir zurück zu einem unscheinbar anmutenden Gangabschnitt, welcher auf dem Pergament mit einem Handsymbol gekennzeichnet ist. Erst jetzt fällt uns auf, wie auffällig regelmäßig die Steine hier aufeinander geschichtet wurden. Nach einer kurzen Zeit des Felsquaderabgrabschens, pule ich mit dem linken Zeigefinger im Gegenuhrzeigersinn in einem wohlgeformten quadratischen Loch und betätige den Mechanismus der Drehwand.
Ein süßsaurer, stechender Gestank beißt mich in die Nase. Der Schweiß schießt plötzlich aus allen Poren meiner Haut und das eben noch verputzte Stückchen Lembas kitzelt schon an meinem Halszäpfchen. Ich drehe mich weg, öffne den Mund soweit es geht und erweise dem Erbauer dieser Katakomben mit all deren versteckten Hebelmechanismen und detailverliebten Raumverzierungen meine Ehre. Ein dicker Strahl Mageninhalt schießt auf den Boden.
„Steck Dir das in die Nase, das hilft gegen den Geruch“, der Zauberer hält mir ein kleines Büschel getrockneter Kräuter hin.
Die anderen zwei Gefährten können ihr breites Grinsen nicht verbergen. Wir schreiten weiter, hinein in die Dunkelheit, entlang der kühlen Wände. Treffen bald auf einen kleinen Graben, mitten in sonst glatten Stein. Auf der anderen Seite erkenne ich Umrisse einer menschlichen Gestalt. Kampfsprung rüber und schon wird die nun erhellte Silhouette inspiziert.
Es ist der natürlich mumifizierte Oberkörper eines Elfen. Der Unterkörper fehlt. Ein paar angeätzte Kleidungsstücke hängen in den Graben hinein. Dies ist wohl der kläglich gescheiterte Versuch einer Säurefalle zu entkommen. Komischerweise hält er in einer Hand noch einen ledernen Beutel. Hätte er den losgelassen und die Finger in die Steinritzen gekrallt, wäre sein Versuch wohl erfolgreicher gewesen. Was kann denn so wichtig sein, dass er es nicht hergeben will? Ich öffne den Beutel und schau rein, entdecke einen Haufen Ringe, alle ähnlich und doch verschieden genug, um ihre kleinen Unterschiede zu bemerken.
Als wir den Raum ausleuchten, fallen uns zwei Statuen auf. Die eine, eher kleinere sieht aus wie eine normale Priesterin. Die andere, ein klein wenig detailliertere stellt eine ältere Frau dar, die auf einer Liege sitzt und die Augen der Katze der Priesterin streichelt. Auf dem Boden zu ihren Füssen liegt eine kupferne Schale, umrahmt von schon lange erloschenen und nun staubigen Kerzen. Ein Vibrieren macht sich in meiner Hosentasche bemerkbar. Es ist der Beutel voller Ringe. Aus dem Nichts fangen plötzlich die Kerzen an zu glimmen. Einzelne beginnen schon zu brennen. Ich kram die Ringe hervor und lege sie in die Opferschale. Die Ringe glühen auf, lösen sich bald in Funken und Rauch auf, welcher den ganzen Raum einhüllt. Als es wieder klärt, sich der Rauch gesetzt hat, erkennen wir ein frisch entstandenes Portal. Es ist klar und gibt Durchblick in einen großen viereckigen Saal, dessen Mitte von einem Schleier verdunkelt wird.
Vorsichtig gehen wir durch, befinden uns gleich in einer der Saalecken. In der Mitte erkennen wir eine liegende Frau, die sich, als sie uns sieht, sogleich aufrichtet und irgendwas zu murmeln beginnt. Hastig bereiten wir uns auf das Schlimmste vor, werfen Sack und unnötiges Gepäck in die Ecke, stellen uns in Kampfformation auf.
Das Murmeln der Frau geht in ein Rufen über, welchem eine Horde Skelette und Zombies folgen. Sie schickt ihre Untertanen aus, uns Störenfriede zu vernichten. Wir gehen ihnen entgegen, lassen uns nicht gleich von Beginn in die Ecke drängen. Als die ersten in Hiebweite sind, geht’s ab. Wildes Geschrei, aufgewirbelter Sand, fliegende Gliedmaßen. Welle um Welle, meine Arme werden schwerer, die Beine müde.
Der kleine Hobbit blüht förmlich auf. Bisher war er ja alle paar Schritte am Rasten, Sekundenschlaf oder sowas, er nennt es meditieren. Seine Bewegungen gleichen eher denen eines Tänzers, denn eines wilden Kriegers. Aber in Effektivität ist er unschlagbar, geht im Kampf für jeden Schritt zurück gleich zwei nach vorn.
Wir steigen über Berge von Gliedmaßen und erreichen endlich die Mitte. Die Frau schaut uns geschockt an, ihr Murmeln und Rufen ist verstummt. Bettelnd sinkt sie zu Boden, senkt flehend den Kopf. Wir lassen uns nicht täuschen und die Klinge eines gut geschärften Schwertmeisterschwertes senkt sich in hoher Geschwindigkeit. Ein Zittern erschüttert den Raum als der kopflose Körper auf den Boden sackt. Es verstärkt sich immer mehr, reißt schon erste Säulen ein.
„RAUS! SOFORT RAUS! DER TURM STÜRZT EIN!“, schreit Vector.
Hastig rennen wir zum Portal, lassen unsere schweren Sachen zurück. Ob der Fluch gebrochen ist oder nicht, spielt keine Rolle mehr, wir rennen um unser Leben. Keuchend, mit meinen Kräften am Ende, verlasse ich den Turm, die anderen mir dicht auf den Fersen. Nachdem wir wieder heißen Wüstensand unter den Füßen haben, stürzt der ganze Turm in sich zusammen, begräbt alles Böse unter sich. Wir entfernen uns weiter, gehen Richtung Oase. Eine Riesenstaubwolke erstreckt sich in unserem Rücken bis hoch in den Himmel und verkündet das Ende eines dunklen Regenten.
Das Plätschern der Wellen gegen die Bootswand wirkt wie ein Trommelgesang. Kühler Waldgeruch wird vom Wind mir entgegengetragen. Ich spüre die weiche Erde endlich wieder unter meinen Füßen. Lange war ich fort, darf endlich wieder auf heimischem Boden gehen.
200 Meter vor der Struvmauer halte ich inne und warte ab. Was wird wohl passieren? Die aufmerksame Torwache erspäht mich, ruft etwas ins Festungsinnere. Ich gehe langsam näher, bemerke, dass mehrere Personen am Tor erscheinen. Es sind Brieseltrim, Hinter List, Kloiren, nebst einigen unbekannten stillstehenden Trves. Brieseltrim nickt mir zu, ich versteh das als Befehl mich zu nähern.
Steh nun still vor der Person, welche die Suspendierung damals ausgesprochen hatte.
„Wir haben von Deinen Taten gehört. Du hast dem Struv große Ehre gebracht. Dennoch können wir das Vergangene nicht vergessen. Es ist uns deshalb unmöglich, Dich jemals wieder als Takal‘Mor bei den Trves aufzunehmen.“
Mir drückt sich der Brustkorb zusammen, nimmt mir die Luft. Das Blut schießt hoch bis in meinen Kopf. Das war’s wohl.
Er tritt noch näher an mich ran, fummelt etwas an meinem Hemdkragen rum.
„Wir heißen Dich aber gerne als Zalkh’Batar willkommen. – Ruhen!“
Er gibt mir die Hand, gratuliert mir und führt mich schulterklopfend durch das Struvtor.
Schwudi